"In der Welt habt ihr Angst"
Meine Schuhe habe ich längst ausgezogen und trage sie in der Hand, zusammen mit den Strümpfen. Es glubscht unter mir bei jedem Schritt, den ich vorsichtig in den nassen Schlick setze. Die Feuchte des Sandes ist angenehm kühl, die Sonne wärmt meine Haut. Über mir kreischt eine Möwe. Ich schmecke das Salz der Luft auf meiner Zungen. Eine Brise streicht mir über den Kopf. Endlich bin ich hier, am Meer. Die Ruhe tut gut!
Auf so einen Beginn des Sommerurlaubs habe ich mich immer gefreut, schon Tage, bevor er begann. Ob es in die Berge ging oder, wie hier beschrieben, ans Meer: Endlich Ruhe! Während mein Schreibtisch zuhause aufgeräumt auf meine Rückkehr warten kann.
In diesem Jahr ist alles anders. Von der „Entschleunigung“, von der alle Welt zu Beginn des Lockdowns im Frühjahr sprach, ist nicht viel geblieben. Wobei ich diese Zeit im März und April wirklich gespenstisch fand, und keineswegs wie Urlaub. Die Menschen haben mir gefehlt, der direkte Kontakt. Die Vorstellung, dass es nirgendwo auf der Welt einen Ort ohne Corona gab, fand ich beklemmend. Ich weiß, ich hätte eh nicht dorthin reisen können, bei weltweiter Reisewarnung und geschlossenen Grenzen. Und jetzt läuft der Motor unseres alltäglichen Lebens wieder stotternd an. Manches geht schon wieder, immer mit Hygienekonzept. Und ständig dieses eine Gesprächsthema, wie es weitergeht, wann es wieder schlimmer wird. Ich sage dann meist, dass wir doch einfach tun sollten, was schon wieder geht, mit Vorsicht versteht sich. Wer weiß schon, was morgen kommt?
Diese Pandemie, die wohl nicht die letzte ist, die die Menschheit beuteln wird, ist für uns alle eine Herausforderung. Wir sollen zeigen, wie wir ein gutes Miteinander bewahren, trotz dieser Einschränkungen. Und sie ist eine Prüfung. Unsere Geduld wird auf eine harte Probe gestellt; und es stellt sich die Frage, wie ich mit Furcht umgehe. Furcht hat oft auch gute Gründe, aber sie soll und darf nicht von uns Besitz ergreifen. Und für große Entscheidungen ist sie kein guter Ratgeber. „In der Welt habt ihr Angst!“, stellt Jesus fest. Und endet dann „Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Johannes 16, 33)
Wir Christen sind sicher keine Leute, die die Angst ganz abschütteln. Das würde uns unvorsichtig machen. In den letzten Wochen beobachte ich, dass die Menschen im öffentlichen Raum vorsichtig sind, Abstand halten und Masken tragen. Sobald sie sich privat fühlen, fällt diese Vorsicht von ihnen ab. Wo ist da ihre Furcht vor Ansteckung? Das ist nicht gut. Die Gefahr, sich mit dem Virus anzustecken, lauert aber auch im Privaten, Vertrauten. Einige sind aber immer noch sehr vorsichtig. Sich aber nur im Haus zu verschanzen, weiter jeden Kontakt zu meiden, macht die Furcht zu meinem einzigen Ratgeber. „In der Welt habt ihr Angst!“ Jesus Christus unterwirft sich nicht der Angst, er erträgt sie. Und wir sollen auf unsere Angst hören, ihr aber nicht gehorchen. Was heißt das, dass er die Angst überwunden hat? Wie macht er das? Der Blick auf das Kreuz zeigt mir immer wieder, dass Jesus Christus Schmerzen und Todesgefahr nicht gescheut hat. Er hat sich der Furcht vor beidem gestellt, und damit unsere Welt überwunden, die Schmerz vermeiden und den Tod abschaffen will. Diese Pandemie erinnert uns alle daran, dass das nicht geht.
So nehmen wir die Angst in den Urlaub mit, selbst krank zu werden oder andere damit anzustecken. Dr. Frank Montgomery sagte im Juli in einem Radiointerview, dass wir nicht Urlaub vom Virus, sondern mit ihm machen werden. Wie geht es Ihnen, wenn Sie in diesem Sommer verreisen? Oder bleiben Sie zuhause? Wenn Sie fahren: Nehmen sie ihre Furcht mit, als Antrieb zur Vorsicht. Aber lassen Sie sich nicht von der Angst kleinkriegen. „In der Welt habt ihr Angst! Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ (Johannes 16, 33)
Andreas Pöhlmann